Der Erwerb von Rechten für die verschiedenen Formen der Weitersendung ist mühselig, wie MediaLABcom in den vergangenen Ausgaben dargestellt hat. Verhandlungen mit Rechteinhabern wie den TV-Sendern ziehen sich über Monate hin und selbst bei einem erfolgreichen Abschluss kann man sich nicht sicher sein, ob man nun die Rechte eingekauft hat, die man wirklich benötigt, um den Kunden zufriedenzustellen. Martina Rutenbeck kennt das Geschäft seit Jahren und will als Mit-Geschäftsführerin von content4tv auf beiden Seiten, bei Rechteinhabern und Rechtenehmern, für Erleichterung sorgen.
MediaLABcom: Frau Rutenbeck, Sie waren unter anderem zwölf Jahre für Eutelsat KabelKiosk und M7 tätig und kennen daher die Herausforderungen der TV-Lizenzierung und Weitersenderechte. Womit müssen sich Netzbetreiber hier auseinandersetzen?
Martina Rutenbeck: Zunächst müssen sich Netzbetreiber darüber im Klaren sein, welche Produkte sie tatsächlich brauchen – im Hinblick auf ihre Ausbaustrategie, ihre Kunden, das Markt- und Wettbewerbsumfeld und die Auswahl potenzieller Dienstleister. Die Weitersendung von linearen Programmen ist heute noch die wichtigste Basis, aber der Blick muss gleichzeitig auf die Leistungsfähigkeit von Netzen und Plattformen gehen, um neue Zusatzdienste wie Streaming auf mobile Endgeräte, non-lineare Features und Apps anbieten zu können.
MediaLABcom: Mal abgesehen vom organisatorischen Aufwand, verfügen mittelständische Netzbetreiber überhaupt über das notwendige juristische und technische Know-how, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden? Gibt es Unterschiede zwischen den mittelständischen Kabelnetzbetreibern aus Handwerk, Stadtwerken und Wohnungswirtschaft?
Martina Rutenbeck: TV ist sicherlich ein neues Produkt für viele City Carrier. IPTV ist aber kein neues Thema mehr: Viele Stadtnetzbetreiber haben sich mit dem Thema in den vergangenen zwei bis drei Jahren beschäftigt und sich bereits für Triple Play entschieden. Die Auswahl einer technischen Plattform steht aber bei vielen Marktteilnehmern noch an, auch die Frage „make or buy“ oder Kooperation ist an vielen Stellen noch nicht beantwortet. Aber das Bewusstsein für die Regeln in diesem Markt, wie zum Beispiel die Rolle der Verwertungsgesellschaften, ist deutlich gewachsen. Die Funktionalitäten, die über lineares TV hinausgehen, sind hingegen vielfach noch Neuland sowohl im Kabel- als auch im IPTV-Sektor.
MediaLABcom: Ist der hohe Aufwand ein Hemmnis für die Entwicklung neuer IPTV-Angebote und damit auch für die Verbreitung von TV-Programmen?
Martina Rutenbeck: Wenn jeder Netzbetreiber mit jedem Content-Anbieter die erforderlichen Vertragsverhandlungen führen würde, wäre es sicherlich hoher Aufwand und sehr zeitintensiv für alle Beteiligten. Denn natürlich suchen die Sender eine breitere Basis für ihre Content-Angebote, und die Netzbetreiber haben Reichweite und großes Interesse an TV- beziehungsweise Videodiensten. Man kann aber sowohl die Nachfrage als auch das Angebot aggregieren, damit beide Seiten entlasten und auf die jeweiligen Anforderungen eingehen – genau da setzt unser Geschäftskonzept an: Wir bieten alle TV-Weitersenderechte, linear und non-linear, aus einer Hand.
MediaLABcom: Was bietet content4tv Netzbetreibern also an?
Martina Rutenbeck: Unsere Dienstleistung besteht darin, die Lizenzen von Free- und Pay-TV-Sendern zu beschaffen, die nicht über die Verwertungsgesellschaften abgedeckt sind, daraus vollständige Produktangebote zu formen und an eine breite Palette von Distributionspartnern wie Netz- und Plattformbetreiber zu vergeben. Diese Rechtepakete befähigen unsere B2B-Partner, vollwertige TV- und Videodienste an ihre Endkunden zu vermarkten. Unser Fokus liegt im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern ausschließlich auf Geschäftskunden: content4tv wird kein eigenes Endkunden-Business betreiben.
Damit stellt content4tv die relevanten Lizenzen bereit, die für ein wettbewerbsfähiges lineares TV-Produkt unabdingbar sind; hinzu kommen weitere Rechte für “in home”-Streaming und non-lineare Features wie PVR, Catchup und Restart, soweit sie auf Senderseite verfügbar sind. Wir konzipieren alle diese Produkte als White-Label-Angebot, so dass Netzbetreiber sie nahtlos in ihren Markenauftritt und ihre Produktwelt integrieren können. Und das kurzfristig, da die Produkte bereits zur Verfügung stehen.
Sollten Netzbetreiber weitere Sender und Rechte über unser Angebot hinaus benötigen, beschaffen wir diese zusätzlich, zum Beispiel um eine deutlichere Differenzierung zu Wettbewerbern zu erreichen.
MediaLABcom: Sind Sie also quasi so etwas wie die VG Media für private und die Gema für öffentlich-rechtliche Fernsehsender in einem, also eine unternehmerisch geführte Verwertungsgesellschaft?
Martina Rutenbeck: Eher das Gegenteil einer Verwertungsgesellschaft: Oberhalb der Urheberrechts-Abgeltung unterstützen wir unsere Kunden bei der Einführung und Distribution von TV-Produkten – als wesentlicher Bestandteil eines Triple-Play-Angebots, als innovativer Produktansatz… Die Abgaben an die Gema und VG Media fallen ja auf jeden Fall an, wir kümmern uns um die Produkte „on top“.
Wie viele Begriffe für IPTV verwenden Sie? Regeln Sie neben dem klassischen IPTV für Ihre Kunden auch die Fragen für IPTV 2.0, wie es Rechtsexperte Ramón Glaßl in der vergangenen MediaLABcom-Ausgabe darlegte?
Martina Rutenbeck: Unser Fokus liegt in dieser Startphase auf Lizenzen für so genannte geschlossene Netze, also eine Stärkung der Netzbetreiber in Richtung ihrer Kundenbeziehungen; das inkludiert sowohl IPTV im Sinne der linearen Weitersendung als auch zeitversetzte Nutzung und bezieht sich auf die Nutzung zuhause im privaten WLAN, also „in-home“. Die erweiterte Nutzung von abonnierten TV-Paketen „out-of-home“, auf mobilen Endgeräten unterwegs, zum Beispiel in öffentlichen WLAN-Netzen, steht als nächster Schritt auf unserer Roadmap. Da die Nutzung zuhause jedoch im Zeitbudget eines Endkunden derzeit dominiert, konzentrieren wir uns anfangs hierauf.
MediaLABcom: Inwiefern unterscheidet sich content4tv von ähnlichen Dienstleistern im Kabel- und IPTV-Markt?
Martina Rutenbeck: Wir sind der einzige Dienstleister im deutschsprachigen Raum, der die notwendigen Lizenzen in diesem Umfang und dieser Vollständigkeit ohne Verknüpfung mit einer technischen Plattform anbietet. Wir lassen unseren Kunden freie Hand, wie sie die Signale beziehen und in welcher Form sie diese einspeisen. Die Unabhängigkeit von einer technischen Plattform eröffnet uns die Möglichkeit, unterschiedliche Zielgruppen und Kanäle zu bedienen – Netz- und Plattformbetreiber, Kabel und IPTV sowie mögliche neue Nutzer, die Content-Rechte benötigen.
MediaLABcom: Welchen Vorteil bringt die Plattformunabhängigkeit für den Netzbetreiber?
Martina Rutenbeck: Unsere Unabhängigkeit ist auch ein Vorteil für unsere Kunden. Durch die Entbündelung von Content und Plattform – übrigens eine seit langem existente juristische Forderung – erhält der Netzbetreiber höhere Flexibilität und bewahrt auch Unabhängigkeit, sowohl bei der Produkteinführung als auch bei Migrationsprojekten. Im Vorfeld seiner Plattformentscheidung können wir ihm bereits die spezifischen technischen Anforderungen der Sender, der Empfangssituation, der non-linearen Dienste etc. mitgeben. Sobald der Netzbetreiber seine Plattformentscheidung gefällt hat, erfolgt eine enge Koordination mit dem technischen Dienstleister, um die Anforderungen aus den Lizenzverträgen auf der Plattform zu reflektieren. Das gehört zu unserer Dienstleistung, hier können wir dem Netzbetreiber deutlich Zeit und Ressourcen sparen.
MediaLABcom: Für den Konsumenten ergibt sich aus der komplexen Rechtesituation eine unterschiedliche User Experience: Mal kann er Funktionen wie Replay oder Restart nutzen, mal nicht. Mal darf er in Aufnahmen vorspulen, mal nicht oder nur in doppelter Geschwindigkeit. Wird die Kollektivierung unterschiedlicher TV-Rechte durch content4tv dieses Wirrwarr für den Endverbraucher auflösen?
Martina Rutenbeck: Diese unterschiedliche Erfahrung entsteht durch die Vorgaben beim Einkauf des „Original-Contents“, also der einzelnen Programmbestandteile von Sendern, und durch Unterschiede in den Vermarktungsansätzen; diese Ausgangssituation ist für uns dieselbe wie bei anderen Anbietern. Hier kommt es darauf an, durch entsprechende Beratung den maximalen Nutzen für den Endkunden sicherzustellen und einen gemeinsamen Nenner zumindest innerhalb eines Paketes zu schaffen. Das sollte auch im Interesse der Sender liegen, um Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den IP-basierten On-Demand-Diensten zu erreichen.
MediaLABcom: Im nächsten Schritt wollen Sie Ihr Portfolio um OTT-Rechte ergänzen. Doch gerade wenn es um Rechte für die Verbreitung in offenen Netzen geht, zeigen sich einige TV-Sender sehr zugeknöpft. Stellen Sie sich auf komplizierte Verhandlungen ein?
Martina Rutenbeck: Mit jeder neuen Nutzungsform wird die Komplexität steigen, auch weil auf allen Seiten noch nicht alle Geschäftsmodelle ausdefiniert sind. Wichtig wird sein, diese Komplexität nicht bis zum Endkunden „durchzureichen“, sondern durch die Integration von Diensten, intelligente und klare Benutzerführung etc. eine saubere Struktur zu schaffen, die den Zugriff auf neue Angebote erleichtert.
MediaLABcom: content4tv schlägt quasi Kapital aus der undurchsichtigen TV-Rechtesituation. Es sind jedoch Bestrebungen im Gange, etwa auf EU-Ebene, die diese Situation vereinfachen sollen. Gefährdet das Ihr Geschäftsmodell?
Martina Rutenbeck: Meine Erfahrung: Vereinfachungen von Vorgaben helfen allen Marktbeteiligten, insbesondere bei innovativen Projekten, und sollen Chancengleichheit schaffen. Gleichzeitig werden Nutzungsmöglichkeiten von Inhalten und das Nutzungsverhalten der Kunden differenzierter. Daher sehen wir uns mit unserer Dienstleistung in Verbindung mit Beratung unserer Kunden bestens aufgestellt.
MediaLABcom: Vielen Dank für das Gespräch
Quelle: http://www.medialabcom.de/newsletter/2017/11/index.html#beitrag1